Am 08. August 2019 ist es 70 Jahre her, als das furchtbare Eisenbahnunglück am Bahnhof Schlebusch in Manfort geschah, welches 18 Jungs zwischen 14 und 18 Jahren von der St. Andreas Pfarre das Leben forderte und 14 weitere schwer oder leicht verletzt wurden, sowie traumatisierte Jungs und Begleiter zurückließ.

Der zweite Weltkrieg war Gott sei Dank am 08. Mai 1945 beendet worden und die Menschen in unserer Heimat mussten sich neu orientieren und mit vielen Schicksalsschlägen fertig werden. Viele Väter, Söhne oder Verwandte hatten den schrecklichen Krieg nicht überlebt oder galten als vermisst. Zerstörte Häuser und Wohnungen mussten aufgebaut und renoviert werden.

Hier in unserer St. Andreas Pfarrgemeinde, musste das Pfarrleben wieder neu gestaltet werden worunter auch die Jugendarbeit fiel. Unter Pfarrer Clemens Meng wurde vom 03. bis 08. August 1945 erstmals die Gezelinfestwoche unter großer Anteilnahme im Gezelinwald gefeiert. Der Waldaltar war auf der Bunkerplatte zwischen Opladener Straße und Gezelinallee, am heutigen Karl Carstens Ring, aufgebaut worden, wo einst die braunen Machthaber ihre Heimatfeste feierten und extra diesen Bunker errichtet hatten, mit dem Versuch die Gezelinfeier zu verdrängen, was aber fehlschlug. Die Platte ist heute noch vorhanden. Den Aufbau der Jugendarbeit traf damals auf viele Helfer in der Pfarre und so trat man erstmals 1946 mit einem Spiel- und Theaterabend an die Öffentlichkeit. Den großen Aufschwung brachte das erste Zeltlager 1947 in Maria Wald.     

Im Spätherbst 1947 setzten sich Franz Josef Huster und Helmut Nellessen, für die Gründung der St. Georg-Pfadfinder ein. Die Pfarrjugend, hatte nun die Wahl zwischen der katholischen Jugend oder der Mitgliedschaft bei den Pfadfindern. Die Gesamtleitung hatte Kaplan Ockenfels.

Nach deren Versetzung, wurde Kaplan Johannes Jakob Petasch dessen Nachfolger. Kaplan Petasch, war 1942 als Sanitätssoldat zur Wehrmacht eingezogen worden geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde zunächst nach der Entlassung 1946 Kaplan in Niederpleis an der Sieg. Am 10. 02. 1948 kam er dann als Kaplan nach Schlebusch.

Die Pfadfinder, fuhren in diesem Jahr ins Sommerzeltlager nach Schirpen–Dhün. Kaplan Petasch fuhr mit der kath. Jugend nach Bad Driburg. Im darauffolgenden Sommer 1949 ging die Ferienfahrt nach Derenthal an der Weser zu einem mehrwöchigen Ferienlager, welches bis zum 08. August dauerte. Am Sonntag, den 07. August, war die Gezelinfestwoche eröffnet worden und mit ihr wird auch das traditionelle Schützenfest der St. Sebastianus Schützenbruderschaft gefeiert.

Am Montag den 08. August, war man in der St. Andreas Pfarre in froher Erwartung auf die Rückkehr der Ferienfahrer. Da man keine genaue Uhrzeit wusste, trafen sich Eltern und Geschwister gegen 14 Uhr an der Kirche und wartete. Die Gruppe bestand aus 87 Jungs und drei Begleiter, welche auf einem mit Glas geschützten LKW, und zwei Anhängern samt Gepäck transportiert wurden. Auf dem LKW fanden 50 und dem 1. Anhänger 37 Jungs ihren Platz. Auf dem 2. Anhänger befand sich das Gepäck. Nach dem Krieg war diese Art der Personenbeförderung allgemein üblich.

Die wartenden Angehörigen an der Kirche vertrieben sich die Zeit mit Gesprächen über das Wetter, die Arbeit und den Ferien, welche man gerne mit den Kindern gemeinsam verbracht hätte, wozu aber leider das Geld fehlte. Der Nachmittag vergeht und der Abend naht schon, einige Mütter kehren nach Hause zurück um das Abendbrot vorzubereiten. Da nicht jeder Haushalt über Telefon verfügt, kann man nur weiter auf die Ankunft warten, ohne sich groß untereinander zu verständigen.

Im Saal von Urban Ferger, an der heutigen Oulustraße, feierte die Schützenbruderschaft in fröhlicher Stimmung den Krönungsball des neuen Schützenkönigs Wilhelm Hochgürtel. Das Königsschießen war durch die britische Besatzung erstmalig wieder in Schlebusch genehmigt worden, und wurde mit dem Armbrustgewehr auf einen Gipsvogel im Fergers Garten ausgeschossen.

Mittlerweile war es schon 23 Uhr geworden, als von der gegenüberliegenden Polizeiwache im Bürgermeisteramt, ein Polizist in den Saal kam und direkt auf die spielende Musikkapelle zuging und ein Zeichen gab, das Spielen zu beenden. In die eintretende Stille schallte es durch den Saal: Unglück, ein furchtbares Unglück ist geschehen.

In Minuten war der Saal leer und der Krönungsball beendet. An der Kirche ist zu dem Zeitpunkt ebenfalls helle Aufregung, als bekannt wird, dass am Bahnhof Schlebusch ein furchtbares Unglück geschehen ist. Einige Väter liefen zu Fuß zum Bahnhof, andere fuhren mit ihren Fahrrädern dorthin. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durchs Dorf. Menschen standen mit den Nachbarn in Gruppen zusammen, man wollte das Gehörte kaum glauben.

Was war geschehen? Der Lastkraftwagen mit den beiden Anhängern, befuhr die Autobahn A1 bis zur Abfahrt an der Bismarckstraße, der heutigen Smidtarena, dann in Richtung Adenauerplatz in Richtung Schlebusch. In Manfort stiegen schon fünf Jungs aus, bis auf einen, der seinen Rucksack nicht finden konnte. Der Lastzug näherte sich dem damals beschrankten Bahnübergang am Bahnhof Schlebusch in Manfort.

Hier geschah das furchtbare Unglück, welches von Kaplan Petasch wie folgt beschrieben wurde: Der Lastzug näherte sich dem Bahnübergang von Wiesdorf auskommend. Als sie an den Übergang herankamen, befand sich nach seinen Angaben die ihnen zugekehrte Schranke in Abwärtsbewegung, während die gegenüberliegende Schranke noch hochstand, also offen war.

Der Fahrer nahm daraufhin Gas weg, aber im gleichen Augenblick hielt die niedergehende Schranke inne und ging wieder nach oben. Der Fahrer des LKW fuhr nun im Glauben, dass er passieren könne auf den Übergang zu. Die Insassen im LKW, wozu auch der Kaplan gehörte, bemerkten nichts von einem herannahenden Zug.

Erst als sie das Gleis überquert hatten, hörten sie nun das schon ganz nahe Pfeifen der Lokomotive und spürten sofort danach einen heftigen Schlag und hörten das Krachen des von der Lok erfassten ersten Anhängers, in dem sich ja 37 Jungs befanden, von denen 18 den Tod fanden und 14 verletzt wurden.

Der Schrankenwärter, welcher die Schranke noch per Handkurbel herunterlassen musste, gab an: „Nach dem der D 99 gemeldet war, ließ ich, als der Zug noch etwa 800 m entfernt war, die Schranke herunter hielt aber im letzten Augenblick an, um noch einen Radfahrerpassieren zulassen. Da sah ich aus nächster Entfernung den Lastzug, in diesem Augenblick fiel mir die Kurbel dieser Schrankenseite aus der Hand. Nun bemerkte ich im Spiegel auch schon den D-Zug. Um den Lastzug schnell passieren zu lassen, drehte ich die andere Schrankenseite hoch.“                             

Schlebusch war wie gesagt damals noch ein großes Dorf und viele Straßen waren betroffen, weil Jungs aus der Nachbarschaft unter den Opfern waren.

Am Samstag den 13. August 1949 fand die große ergreifende Trauerfeier um 15 Uhr unter der Leitung des Kölner Weihbischofs Ferche in der St. Andreas Pfarrkirche statt. Nach dem Pontifikalrequiem wurden auf dem Kirchenvorplatz, welcher mit weißen Särgen, Kränzen und Blumen überfüllt war, im Beisein der Angehörigen, Freunde, Nachbarn und der Jugend die Särge gesegnet und ein großer Trauerzug bewegte sich durch die Bergische Landstraße, welche links und rechts dicht von Menschen besetzt war, die ebenfalls Abschied nahmen und so auch ihre Anteilnahme ausdrückten.

Auf dem neuen Waldfriedhof Scherfenbrand, hatte die Stadt Leverkusen Ehrengräber zur Verfügung gestellt. Hier fanden 17 Jungs im Alter von 14 bis 18 Jahre ihre letzte Ruhestätte. Ein Junge wurde in Manfort beerdigt. In verschiedenen Jahresabständen wurde an den Gräbern der toten Jungen gedacht.

Nachdem im Jahr 1989 die 40-jährige Ruhefrist abgelaufen war, wurde im Jahr 1991 durch die Stadt Leverkusen die Gräberanlage in eine Gedenkstätte umgewandelt, welche am 08. August 1991 durch den Oberbürgermeister Horst Henning eingeweiht wurde. Vor 10 Jahren gedachte der Oberbürgermeister Ernst Küchler in einer Feierstunde den Opfern. Ebenso wird von der St. Andreas Pfarre jedes Jahr durch eine besondere Gedenkmesse an die Opfer erinnert und für sie gebetet.

In unserer Kirche erinnert das besondere Bildnis mit der Gedenkschrift und den einzelnen Namen immer wieder die Besucher an dieses Ereignis. Dem bedauernswerten Kaplan Petasch wurden von einigen Mitbürgern unberechtigte Vorwürfe gemacht, obwohl er genauso betroffen war wie die ganze Gruppe selbst.

Aus einem fröhlichen Priester, wurde ein in sich gekehrter trauriger Kaplan. Am 01.02.1951, wurde Kaplan Johannes Jakob Petasch in die Diözese Paderborn beurlaubt und zum Perfekten und Spiritual am Konvikt St. Clemens in Bad Driburg ernannt. Oftmals war er in St. Andreas noch als Aushilfe tätig. Sein Nachfolger wurde nach der Priesterweihe am 15. 07. 1951 Kaplan Erich Endlein.                         

Aus der katholischen Jugend kamen 1953/54 einige Jungs zu der neugegründeten Jungschützenabteilung der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Schlebusch unter der Leitung von Gustav Kessler. Die weibliche Jugend wurde ab 1948 von Kaplan Berthold Mock geleitet, welcher gleichzeitig auch Dekanatspräses der weiblichen Jugend war. Berthold Mock, war am 03.03.1938 zum Priester geweiht worden und wurde am 14.04.1942 zum Heeresdienst eingezogen, geriet in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 heimkehrte. Am 26.03. wurde er Kaplan hier an St. Andreas, bis er der erste Pfarrer in der neuen Pfarrei St. Johannes der Täufer in Alkenrath am 01.10.1957 wurde, wo er 1976 verstarb.

Durch das furchtbare Eisenbahnunglück und andere Unfälle an Bahnübergängen in Leverkusen, wurde in Manfort an den Schranken Bahnpolizisten postiert. In den 1960er Jahren, wurden bei umfangreichen Straßenarbeiten die Eisenbahnüberführungen abgeschafft, indem Unterführungen gebaut wurden.

 

Kurt Saal

Quellennachweis: Das Heimatbuch 1952, vorliegende Berichte und eigene Erinnerungen

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